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Ein ungewöhnliches Andachtskreuz in der Stiftskammer Freckenhorst


Vielfältig sind die Frömmigkeitsformen, die sich im Laufe der Jahrhunderte in der Christenheit insbesondere zur Vorbereitung auf die kirchlichen Hochfeste entwickelt haben. Die am Aschermittwoch beginnende sechswöchige Fastenzeit bis Ostern sollte zu vertiefendem Nachsinnen über den Leidensweg Christi führen. Dazu trugen Kreuzwegandachten, aber auch private Kreuzbetrachtungen bei.

Unter den Schätzen des Museums Stiftskammer in der Petrikapelle Freckenhorst befindet sich ein ungewöhnliches Standkreuz, das in diesem Zusammenhang unsere Aufmerksamkeit verdient. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus Eichenholz geschaffen, ragt es über einem für die Barockzeit typischen Volutensockel fast einen Meter hoch auf. Es trägt keinen Christuskorpus, stattdessen ist die Vorderseite vollständig mit Perlmuttblättchen besetzt, ein durchaus symbolisch zu verstehender Schmuck, durch den das Kreuz zeichenhaft als von höchstem Wert für unsere Erlösung erscheint.

Bei genauerem Hinsehen erkennt man in den Perlmutt eingeritzte figürliche Darstellungen an den volutenförmig ornamentierten Kreuzarmen. Es sind dies die Figuren der Evangelisten, über die wir Kunde vom Leiden und Tod Christi erhielten. Besonders herausgehoben kniet im Kreuzsockel der Hl. Franziskus, möglicherweise ein Hinweis darauf, dass das Kreuz nicht für das Freckenhorster Stift, sondern für einen Franziskanerkonvent angefertigt wurde. Im unteren Kreuzarm ist schließlich noch die mit einem Schwert als Zeichen des Schmerzes durchbohrte Gottesmutter abgebildet, und statt des Korpus sehen wir in der Mitte der Kreuzesarme stellvertretend für Christus selbst eine Dornenkrone. Die Botschaft ist klar: Der vor dem Kreuz Betende soll sich wie die Vorbildfiguren dem leidenden Christus zuwenden.

Das Kreuz hält noch eine weitere Besonderheit bereit. In den Kreuzarmen befinden sich 14 runde "oculi", kleine augenförmige Öffnungen. Sie sind mit den rot eingefärbten römischen Zahlen 1 -14 und dem lateinischen Wort "sta(tio)", Station, bezeichnet. Der Beter konnte also vor diesem Kreuz eine private Andacht mit den traditionellen 14 Kreuzwegstationen

verrichten. Dabei waren die "oculi" dazu gedacht, ein kleines Holzstäbchen aufzunehmen, das der Beter gewissermaßen bei der Ankunft an der jeweiligen Station für die Dauer seiner Betrachtung in die Öffnung einsteckte und das ihm half, die Ordnung des Weges vom Anfang bis zum Ende genau einzuhalten.

Bei Besuchen in der Stiftskammer Freckenhorst, aber auch in den Kirchen unserer Städte und Dörfer kann man immer wieder darüber staunen, wie viele Botschaften der reiche Schatz an Andachtsbildern für uns bereithält.

Klaus Gruhn